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Das
novemberartige Wetter machte es uns heute leicht, in das gestellte
Aufgabenthema hinein zu finden, das da lautete „Suizid“.
Bei strömendem Regen kamen wir radelnd in den Räumlichkeiten
des Arbeitskreises Leben (AKL) e.V. in der Hirschstraße an,
wo uns zwei Mitarbeiterinnen in die Thematik einführten. Sie
berichteten uns aus ihrem Arbeitsalltag mit den Suizid-Gefährdeten,
von den Herausforderungen, denen sie gewachsen sein müssen
und von den Erfolgen. Von den 212 ausgewerteten Fällen, die
der AKL im letzten Jahr betreute, waren etwa 25 Personen zwischen
12 und 27 Jahre alt. Das ist vergleichsweise wenig und diese Zahl
scheint der Tatsache zu widersprechen, dass es viele Kinder und
Jugendliche mit Depressionen und schließlich auch eine hohe
Selbstmordrate in dieser Altersgruppe gibt. Der AKL möchte
in Zukunft vermehrt an Schulen herantreten, damit auch die Jugendlichen
im Ernstfall wissen, wohin sie sich wenden können. Die Leistung
des AKL besteht darin, die Personen in Krisenzeiten zu begleiten.
Dies kann von einem einmaligen Gespräch bis hin zu einer Begleitung
mit regelmäßigen Treffen über mehrere Monate hinweg
reichen. Die Hilfeleistungen des AKL sind kostenfrei.
Das
Anliegen:
Das Thema Suizid ist
immer noch mit einem Tabu belegt. Dies zeigt sich nicht nur daran,
dass Hinterbliebene häufig in soziale Isolation geraten, sondern
beispielweise auch an den Schwierigkeiten, für die Thematik
einen angemessenen Ausdruck zu finden. Der AKL selbst änderte
mehrfach die Begrifflichkeiten: Aus Suizid wurde Selbsttötung.
Selbtsmord ist zwar deutlicher, klinge gleichzeitig jedoch zu sehr
nach einem mit Strafen belegten Verbrechen. Freitod sei eine romantische
Verklärung und Suizid als Fremdwort bestimmten Bevölkerungsgruppen
einfach nicht geläufig. Das Anliegen des AKL besteht also
darin, das Thema Selbsttötung und das eigene Angebot so zu
kommunizieren, dass es enttabuisiert wird und nichtzuletzt soll
die Telefonnummer des AKL verbreitet werden, so dass sie gegebenenfalls
schnell zur Hand ist. Im weiteren Gespräch einigten wir uns
dann darauf, dass wir uns auf die Jugendlichen als Zielgruppe beschränken,
denn für diese hat der AKL bisher kein passendes Material.
Unsere Gedanken & Überlegungen:
Die große Schwierigkeit
des heutigen Tages bestand darin, unsere Unsicherheit bezüglich
der Frage, wie selbstmordgefährdete Jugendliche am Besten anzusprechen
sind, zu überwinden. Wir schwankten zwischen allen Extremen. Sollten
wir ein richtig krasses Plakat gestalten, welches die dicken Mauern
der Coolheit durchbrechen kann, mit denen sich manche Jugendlichen
nach außen hin abschotten. Sollten wir eher etwas entwerfen,
das Erinnerungen an Momente der Lebensfreude wachruft, oder sollten
wir die Betroffenen, deren Wahrnehmung in der Regel von negativem Denken
bestimmt ist, dort abholen, wo sie sich befinden, nämlich an einem
Tiefpunkt? Auf Sarkasmus und Flapsigkeit wollten wir jedenfalls verzichten.
Während wir verschiedene Ansätze durchspielten, verfielen
wir schließlich selbst in einen annähernd depressiven Zustand.
Draußen alles grau, drinnen liegt die ganze Hochschule menschenleer
im Schlummer, in uns die Gedanken, die um das ernste Thema kreisten.
Das
Ergebnis:
Ein zweiseitiges Plakat, welches die gefährdeten
Jugendlichen auf unterschiedliche Weise anspricht. Eine Seite des Plakates
könnte eher die sensibleren Gemüter erreichen und die zweite
vermag möglicherweise eher die meist mit dickeren Seelenmauern
umgebenen und sich weniger mitteilungsbedürftig gebenden Jungs
anzusprechen. In ihrem etwas belämmerten Zustand brachte die wir.ag
heute lediglich die erste Seite zustande. Ein Vorschlag wie die zweite
Seite aussehen könnte, kam am Abend von unserem Telefonjoker Nr.
1: Olaf. Die wir.ag veränderte diesen Vorschlag schließlich
noch. Nun denken wir, den Auftrag – so gut wie uns möglich
erfüllt – zu haben. Die Vorderseite des Plakats zeigt eine
fiktive Seite aus dem Tagebuch eines Teenagers, umgeben von schultypischen
Utensilien wie Füller, Mäppchen, Kaugummi etc. Eine aufgeschlagene
Tagebuchseite macht neugierig, den Text zu lesen. Mit dieser Seite
sind wir also eher der Spur gefolgt, die Jugendlichen mit Mitteln anzuprechen,
die stimmungsmäßig den Tiefpunkt, an dem sie angelangt sind,
widerspiegeln. Die Rückseite spricht eine deutliche Sprache: Auf
schwarzem Grund steht in weißen Lettern die Frage: „Du
willst dich umbringen?“ Dieser offensive Umgang mit dem Thema
entspricht einer Erfahrung, die Anna Gruber vom AKL immer wieder macht:
Viele Menschen beginnen erst dann über ihre Selbstmordgedanken
zu sprechen, wenn man sie ohne Umschweife darauf anspricht. Dann wiederrum
ist schon ein Teil der Arbeit geschafft: Darüber zu reden hilft,
erleichtert und lässt vieles gleich in einem anderen Licht erscheinen.
Die
Regel des Tages:
Die wir.ag gibt ihr Bestes – auch bei ernsten
Angelegenheiten. Wir ignorieren heute vorallem das Wetter und
alle BINGS werden beantwortet. Business as usual.... |